Lisa Schmid |
Text 3
Jonathan wusste weder
ein noch aus. Völlig verstört fuhr er nach Hause und überlegte, wie er
dieses so scheinbar unlösbare Problem doch noch in den Griff bekommen
konnte. Aber wie sollte er das machen? Er musste ja auch noch arbeiten
gehen; er hatte also gar keine Zeit sich darum zu kümmern. Und morgen schon!
Du meine Güte. Fieberhaft dachte er nach, doch auf der gesamten Heimfahrt
viel ihm keine Lösung des Problems ein. Wie er die Situation drehte und
wendete, da war einfach nichts. Alles was ihm einfiel war weggehen, einfach
abhauen. Aber das hätte wochen- ja sogar monatelanger Vorbereitung bedurft,
und diese Zeit hatte er nicht. Jonathan blieb nichts anderes übrig als sich
der Situation zu beugen.
Am nächsten Morgen nun klingelte der Notar um acht Uhr an Jonathans Tür und
brachte ihm den kleinen Moritz vorbei. Völlig eingeschüchtert stand er vor
Jonathan, und es schien, als ob er genauso hilflos war wie sein Gegenüber.
Artig gab er ihm die Hand und verabschiedete sich von Herrn Schmitt, der
noch einen ganz dringenden Termin hatte. Jonathan hatte ja gehofft, er könne nochmal mit ihm reden, aber er war genauso schnell wieder verschwunden wie
er gekommen war.
Was mache ich bloß mit diesem Kind? Es steht da so blöd in der Ecke. Warum
kann mir denn keiner helfen? Aber da war niemand. Die wenigen Bekannte, die
er hatte, waren alle nicht erreichbar gewesen; sogar seine Mutter nicht.
Als er sich diese Tatsache noch einmal durch den Kopf gehen ließ, während er
den kleinen Moritz betrachtete, kam ihm der Gedanke: Dies muss eine
Verschwörung sein! Ja, natürlich. Es kann ja auch nicht sein, dass es außer
mir niemanden gibt, der sich um das Kind kümmern kann. Die wollen mich auf
die Probe stellen! Natürlich. Aber mit mir nicht! Das lasse ich nicht mit
mir machen! Die werden schon sehen! Ich werde einfach so weiter machen wie
bisher. Wenn ich diesen Bengel ignoriere, wird schon jemand kommen, der das
Kind wieder zu sich nimmt. Wahrscheinlich ist Anja auch gar nicht gestorben.
Das ist alles nur ein Trick. Ha, ich hab euch durchschaut!
Diese Gedanken waren nun der Anfang von Jonathans Wahnsinn. Er war von
dieser Idee so besessen, dass er zu keinem anderen Gedanken mehr fähig war.
An Moritz dachte er schon gar nicht mehr. Er ließ ihn einfach in der Haustür
stehen und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Und tatsächlich: es
funktionierte. Moritz war den ganzen Tag aus seinen Gedanken verschwunden.
Auch auf dem Weg nach Hause fühlte er sch wie sonst, freute sich sogar auf
seinen allwöchentlichen Abend in seiner Stammkneipe.
Doch als er, zu Hause angekommen, die Haustür aufschloss, traute er seinen
Augen kaum. |